»Rilkes Seele hat vor langer Zeit einmal als Bauer gelebt in sehr armen Verhältnissen. In dieser Zeit hat die Seele beschlossen, all jenen, die ebenso leben mussten wie er, einmal eine Stimme geben zu können. Sie hat beschlossen in einer fernen Inkarnation sich dem Wort zu widmen und auf diese Weise allem, was an Schmerz, Wahrheit, Erkenntnis und Liebe menschenmöglich zu erfassen ist, Ausdruck zu geben. In der Inkarnation, die sie als Seele Rainer Maria Rilke gelebt hat, in dieser Inkarnation nun ist ihr dies sehr gelungen.
In der Tat war die Seele schon eine alte Seele und hat es deshalb auch vermocht, in die Tiefen der menschlichen Psyche hinabzusteigen, alles auszuloten, was es dort zu spüren und erleben gibt. Die Inkarnation als Dichter ist also in etwa die Quintessenz aller Leben, welche die Seele vorher gelebt hat. Nur aus diesem Grund konnte er das menschliche Sein und die menschliche Sehnsucht, den menschlichen Willen und das Scheitern innerhalb der menschlichen Existenzen in einer solchen Dichte und Süße ausdrücken, wie es keine junge Seele könnte. In diesem Dichter fließt also zusammen, was an Erfahrung innerhalb eines Inkarnationszyklus möglich ist.
Himmlisches Glück und abgrundtiefer Schmerz
Was das Leben der Seele selbst nun anbelangt, spiegelt auch sein Leben die Zerrissenheit zwischen den Möglichkeiten des menschlichen Seins, das sich zwischen tiefer Freude, himmlischem Glück und abgrundtiefem Schmerz abspielen kann. Der Dichter hat dies quasi wie ein Pendel immer wahrgenommen und ist häufig zwischen allen Möglichkeiten des psychischen Seins hin- und hergependelt.
Aus eurer menschlichen Warte würdet ihr sicher sagen, dass er nicht unbedingt ein glücklicher Mensch war. Jedoch war er ein Mensch, der die Fähigkeit besaß, das menschliche Sein, die menschlichen Gefühle, alle Regungen, die sich in euch bemerkbar machen können zu registrieren wie ein Seismograph und in Worte zu fassen.
Darüber hinaus war der Dichter fähig, alles, was er um sich herum erlebte und erfassen konnte, in Worte zu fassen, so auch das Erleben der Natur, das Werden und Vergehen der Jahreszeiten, das Einssein mit der Natur und dem, was ihr Gott nennt.
Verbunden mit den jenseitigen Welten
Dennoch lebte diese Seele in dieser Inkarnation in einer Art Zerrissenheit, die immer wieder auch in seinen Gedichten zum Ausdruck kam. Es war eine Zerrissenheit, die nicht zuletzt aus dem Bewusstsein resultierte, dass es eine Welt gibt, in der es alle diese Bedrängnisse des menschlichen Seins nicht mehr gibt. Die Seele spürte ihre Verbundenheit mit den jenseitigen Welten, insbesondere mit ihrer Seelenfamilie äußerst intensiv und war von einer sehr großen Sehnsucht befallen, sich wieder mit der Seelenfamilie zu vereinen – zeitlebens ihrer irdischen Inkarnation. Dennoch wusste sie um ihren Auftrag, das menschliche Sein in Worte zu fassen und hat sich diesem Auftrag gewidmet.
Was das soziale Leben dieser Seele anbelangt, so kann man sagen, dass sie ihm überdrüssig war in einer gewissen Form und sie den Gepflogenheiten des sozialen Umgangs, des Benehmens nur mit großer Überwindung und Anstrengung folgen konnte.
Dennoch hat die Seele euch einen Schatz hinterlassen, den es sich zu entdecken lohnt. Es sind Beschreibungen des menschlichen Seins, Beschreibungen der Inkarnationen und Beschreibungen auch der seelischen Welten, die man bei genauem lesen der Texte erkennen kann. Die Seele Rainer Maria Rilke hat in dieser Inkarnation ihren Seelenplan, den sie sehr früh gefasst hatte, erfüllt und ruht sich nun immer noch in den jenseitigen Welten aus.
An diesem Dichter könnt ihr erkennen, wie reich ein spätes Seelenleben sein kann, wie satt die Erkenntnis aus irdischen Inkarnationen sein kann und wie wenig Lust eine Seele in diesem Alter noch haben kann, sich dem Procedere des gesellschaftlichen und menschlichen Seins zu stellen. Es freut uns sehr, dass ihr euch mit dieser Seele beschäftigen wollt und wir können euch nur dazu beglückwünschen.«
Frage: Hat die Seele ihren Seelenfrieden gefunden, wenn sie so zerrissen war?
»Dazu möchten wir sagen: ja und nein. Ja, sie hat ihn gefunden, weil sie ihr Inkarnationsziel erreicht hat am Ende dieser Inkarnation. Und nein, wenn ihr davon ausgeht, dass Seelenfrieden ein Zustand ist, der sich wie ein sanftes, weiches Bett anfühlt. Aus unserer Sicht kann eine seelische Zerrissenheit genau das sein, wonach die Seele sich sehnt. Sie kann genau das sein, was die Seele noch in einer Inkarnation erfahren will.
Diese Zerrissenheit, wie wir sie einmal nennen möchten, war auch im Verhältnis des Dichters zu Frauen zu spüren. Er fühlte sich vom anderen Geschlecht gleichermaßen angezogen wie abgestoßen und hatte ein sehr diffuses Verhältnis zur Sexualität. Sexualität war etwas für ihn, was er zu Genüge in seinen Inkarnationen erfahren hatte und was er deshalb nicht noch einmal erfahren musste. Er konnte mehr Befriedigung finden, in dem er sexuelle Entsagung oder sexuelle Regungen in Worte fasste und alles sozusagen sublimierte.
Wenn ihr die Gedichte dieses Dichters lest, so lest sie einmal unter dem Aspekt des jenseitigen Kosmos, das durch sie hindurch scheint. Es kann für reife und alte Seelen wie ihr sie seid, von hohem Genuss und Nutzen sein, die Werke alter Seelen zu lesen und zu studieren. Und so möchten wir euch ermuntern, dies zu tun, denn es kann eurer Seele Reifung und Beglückung bringen.«